Wenn Menschen danach gefragt werden, was guten Sex für sie ausmacht, wird oft geantwortet, dass es ihnen wichtig ist, dass Beide zu einem Höhepunkt kommen. In unseren Köpfen ist abgespeichert, dass ein Orgasmus der Beweis dafür ist, dass jede*r seine Befriedigung erreicht hat und nicht selten wird sich vergewissert „Bist Du gekommen?“, worauf man dann wahrheitsgemäß antworten kann oder sich einer kleinen Notlüge bedient, um nicht in noch mehr unangenehmes Nachfragen zu geraten. Dieses scheinbare Non Plus Ultra, eine orgastische Entladung zu erleben, ist für manche Leute die Bestätigung, ein guter Liebhaber oder eine Sexbombe, wie sie im Buche steht, zu sein.
Tatsache ist, dass der Orgasmus eine körperliche Reaktion ist, die sich im besten Falle mit positiven Emotionen verbindet, je nachdem in welchem sogenannten Erregungsmodus jemand funktioniert. Einfach gesagt, ist der Orgasmus ein Ziel, auf das man in der sexuellen Begegnung oder in der Selbstbefriedigung hinarbeitet. Es herrscht bei vielen Paaren ein regelrechter Orgasmus-Druck im Bett und gleichzeitig eine niedrige Schwelle zur Frustration. Dieser Zustand ist oftmals störend, weil man sich stark an dieser körperlichen Reaktion orientiert und kaum frei ist, um durch Interaktionen und Kommunikation sexuelle Schritte auszuprobieren. Im Hinterkopf regieren die ganze Zeit Erwartungen und mögliche Phantasien, wie etwas sein sollte, die uns den Genuss verschmälern.
Wer noch nie einen Orgasmus erlebt hat, sehnt sich nach dieser Empfindung und ist manchmal ein wenig unsicher, was überhaupt ein Orgasmus ist. Doch auch darin liegt viel Wachstumspotenzial. Ein Orgasmus lässt sich nicht willentlich herstellen und je mehr man ihn erreichen möchte, desto schwieriger erscheint es, einen solchen zu erleben.
Je nachdem wie sich die Sexualität gestaltet, wie viel Muskelanspannung herrscht, wie wir uns bewegen, welche Abläufe wir in unser Liebesleben integrieren und wie wir dabei atmen, entscheidet, welche Intensität wir beim Sex erfahren können. Manche Menschen sind schnell, erreichen zuverlässig einen Höhepunkt und sind damit zufrieden - andere sind flexibler in ihrer Wahrnehmung, brauchen Zeit, Kontinuität und vor allem das gemeinsame Spiel. Dazwischen gibt es viele Varianten des sexuellen Erlebens. Ein Orgasmus ist nicht gleich ein Orgasmus. Einige Menschen können sogar mehrere hintereinander erleben. Bei anderen ist nach einem Höhepunkt erst einmal Schluss und die sexuelle Sättigung sorgt für eine allumfassende Entspannung. Ob man dabei verliebt ist oder den Sex aus anderen Gründen erlebt, hat für die einen mehr Einfluss, für die anderen weniger.
Der Körper reagiert auf angenehme Sinnesreize mit Wohlempfinden und jeder Mensch lernt im Laufe des Lebens sich ein sexuelles Muster anzulegen, das man tendenziell immer wieder bedient. Doch ein Muster zu durchbrechen und es mal anders zu machen, kostet Zeit und setzt den Wunsch voraus, sich selbst neu kennenlernen zu wollen. Darüber hinaus braucht es den Mut, nicht nur sich selbst anders als gewohnt zu berühren, sondern das auch noch dem oder der Partner*in gegenüber zu kommunizieren.
Ein Orgasmus ist etwas Besonderes. Es gibt Orgasmen, die sich wie Glücks-Explosionen oder riesige Wellen anfühlen, andere kommen wie eine leichte genussvolle Trance daher, andere wie ein kurzes heftiges Beben. Sie sind unterschiedlich, von Tag zu Tag anders und je nachdem welche Gefühle in unserem Leben gerade eine Rolle spielen, können diese sich auch im Orgasmus zeigen. Wie auch immer ein Orgasmus erzeugt und empfunden wird – es sind großartige Momente. Trotzdem ist ein Orgasmus nicht der Beweis für guten Sex. Es lohnt sich, die Reise zwischen den körperlichen Reflexen zu entdecken. Mit dieser Reise beginnt Part 2 der Orgasmuskunde.